Linguistically Speaking

Feministische Linguistik II - Luise F. Pusch

[Das Buch: Pusch, Luise F. (1984): Das Deutsche als Männersprache. Suhrkamp]

Ein sehr lesenswertes Buch - witzig geschrieben und aufschlussreich, aber auch klar und überzeugend argumentiert. Drin sind Aufsätze zur feministischen Linguistik und im zweiten Teil Glossen zu einzelnen Formulierungen und Wörtern - zb zur ziemlich sinnlosen Formulierung "Die Periode ist bei jedem anders" auf o.b.-Beilagenzetteln.
(vgl. auch Kommentar unten, zu GDK)

Einige interessanten Punkte:
1) Für mich ziemlich überraschend: die ganzen -in-Formen sind scheinbar ziemlich neu - ausser "Lehrerin" und einigen wenigen anderen scheinen die meisten erst seit den 70er Jahren in Gebrauch zu sein (müsste aber wohl auch nachgeprüft werden?). Oder auch ein Wort wie "Kauffrau", das sich für mich normal anhört (jedenfalls halte ich "sie lässt sich zum Kaufmann ausbilden" nicht für einen korrekten Satz).

Pusch hält das generische Maskulinum für eine "Pseudo- Geschlechtsneutralisation" (1984:54) , weil es sich um eine ambige Form handelt, bei der Männer immer (mit)gemeint sind, Frauen aber nicht, sondern nur nach Kontext.

2) Vermutungen zur Entstehung des Motionssuffixes -in (Stand 1984 - Pusch meint, das sei noch nicht näher erforscht, keine Ahnung, obs inzwischen gemacht wurde).
Das Gotische hatte scheinbar ein relativ unparteiisches Bezeichnungssystem, welches v.a. mit "Differentialgenus" funktionierte: zb garazno 'Nachbar' und garazna 'Nachbarin' oder herro 'Herr' und herra 'Herrin' (!) - die weibliche und die männliche Form wurden also beide vom selben Stamm garazn- bzw. herr- abgeleitet, nicht die weibliche von der männlichen Form. Nur eine einzige Quelle belegt das Suffix -ini (Vorläufer von -in).
Im Althochdeutschen hingegen ist die -in(na)-Form für weibliche Personenbezeichnungen bereits sehr häufig, und sie "hat sich bis heute immer mehr ausgebreitet" (1984:56). Dann, so die Sprachhistoriker (alle männlich...), habe sich die Bedeutung des -in aufgespalten: das erste -in überführt Maskulina in Feminina und ergänzt den Basisinhalt um das Merkmal 'weibliches Geschlecht', das zweite -in bedeutet 'Frau (oder Tochter) des X' und symbolisiert so "die Zuordnung zu bzw. die Abhängigkeit von einem Mann" (1984: 57).
Pusch vermutet, dass die hier als neuere Bedeutungsvariante genannte Bedeutung 'Frau von X' die eigentliche und ursprüngliche Bedeutung des Suffixes war - dass alle früh belegten Königinnen und Wirtinnen die Frauen von Königen und Wirten waren. So würde es auch sprachsystematisch Sinn machen, dass überhaupt ein neues Motionsmorphem aufkam - es hätte ja auch wie im Gotischen das Differentialgenus weiterverwendet werden können. (allerdings ist Gotisch kein direkter Vorläufer von Althochdeutsch - gehört zu den Ostgermanischen Sprachen... Puschs Vermutung wäre wohl, dass im 'Ur'Germanischen die gotische Form herrschte, diese also die ursprünglichere wäre?)

Frauen kommen also durch diese -in-Movierung sprachlich nur als einem Mann zugeornete vor, nicht als unabhängige Individuen - womit ihnen auch eine eigenständige Identität (sprachlich) aberkannt wird. Auch dies ein Grund dafür, dass Pusch das Deutsche als durch und durch männlich ansieht, bis in die Grundstrukturen.

Pusch formuliert das nur als Hypothese - würde mich interessieren, ob da irgendwas dazu gemacht wurde. Findes auf jeden Fall spannend, und völlig aus der Luft gegriffen ists ja nicht: zb Pfarrerin wurde/wird ja z.T. schon für die Frau des Pfarrers verwendet... -finde das (falls es wirklich so ist) schon ein ziemlich starkes Argument dafür, dass zumindest einige 'Grundstrukturen' des deutschen patriarchalisch geprägt sind. Was nicht heisst, dass dies nicht umgewertet werden kann (s.u.)

3) Ihr Vorschlag, um das -in loszuwerden: konsequent das Neutrum als geschlechtsneutrale Form benutzen.
Also das Professor/Student - geschlechtsneutral
die Professor/Student - weiblich
der Professor/Student - männlich
Im Plural müsste immer spezifiziert werden, wenn nur Frauen oder nur Männer genannt werden, da "die Professoren" dann wirklich geschlechtsneutral wäre.
[:-), ich hätte das gut gefunden. Aber ist halt der grössere Eingriff, mehr zum umlernen...]

- da das aber eh nicht akzeptiert würde, plädiert Pusch dafür, die -in-Formen konsequent zu verwenden. Auch ehemals diskriminierend gemeinte Bezeichnungen können um- und aufgewertet werden, wenn sie mit Stolz übernommen und forciert werden, wie das zb mit "schwul" passiert ist.

4) zur Rolle der Linguistik: die feministische Linguistik wurde oft als 'unlinguistisch' bezeichnet (v.a. von Männern...), da sie nicht nur beschreibt, sondern auch kritisiert und Verbesserungsvorschläge macht.
Finde das an sich nicht besonders problematisch, obwohl mir GDKs Vorwurf schon auch einleuchtet - dass es gefährlich ist, mit vorgefassten Meinungen ans Forschen zu gehen, also mit der Überzeugung, dass sich soziale Strukturen und Machtverhältnisse auch im Sprachsystem zeigen und dann alles in diese Richtung zu interpretieren. Gerade bei diesen bits & pieces von Pusch hatte ich dieses Gefühl aber eigentlich nicht, finde ihre Analysen ziemlich klar und durchsichtig.

5) brilliant: sie liest den Duden als Trivialroman!
silja (guest) - 8. Dec, 01:18

Finde die ganze -in Problematik sehr spannend!! Hatte keine Ahnung davon. Für mich ist die Tatsache, dass sich das -in von "Frau von X" weiterentwickelt hat allerdings kein Problem (wenn auch interessant). (Als Gegenargument: in diesem Jahrhundert war die Form "Frau Pfarrer" oder "Frau Lehrer" ganau dasselbe - meine Mutter wurde lange von alten Leuten in unserem Dorf als "Frau Lehrer" angesprochen, nicht weil sie selbst Lehrerin war, sondern weil mein Vater Lehrer war. Somit ist auch die von ihr vorgeschlagene Form gewissermassen geprägt als "Frau von X" - heutzutage sogar mehr als "Pfarrerin")

Was mir vielmehr ein "Dorn im Auge" ist, ist dass die -in Form immer die "markierte" Form ist, und nie die Hauptform. Gebrauch des generischen Maskulinums finde ich aber auch keine Lösung, wie ja auch Pusch findet.

Zur Altgotischen Wortformung - natürlich ist das grundsätzlich neutraler als unser System. Allerdings sieht man ja z.B. beim Spanischen (selbe Endungen), dass dies nur bedingt stimmt.

Bsp:
Chica = Mädchen
Chico = Junge
Chicas = Mädchen (pl)
Chicos = Jungen (pl)
aber:
Mädchen+Jungen (pl) = chicos!
(auch wenn es 100 Mädchen & ein Junge sind).
Die Prägung kommt zumindest hier also an einem anderen Ort zum Vorschein...

Weiss nicht, wie weit ich einverstanden bin mit der künstlichen Formung von Formen- zumindest die von Gosch genannte überzeugt mich nicht wirklich - dich? Glaube zumindest nicht, dass so eine krasse Veränderung realisierbar & sinnvoll wäre (vgl. Kommentar zu Shaw)...

barbara... - 8. Dec, 06:35

Der grosse Vorteil davon, wenn die weibl./männl. Formen vom gleichen Stamm abgeleitet sind ist halt auch, dass die Wortbildung unproblematisch wird. Von feministischer Seite wurden/werden? auch Wörter wie "freundlich" oder "künstlerisch" kritisiert, da sie von der "unmarkierten", aber eben maskulinen Form abgeleitet werden. Als Alternativen wurden darum "freundinlich" oder "künstlerinnisch" geprägt, die sich aber nicht durchgesetzt haben - würde auch alles noch komplizierter machen...

Insofern würde ein Differentialgenus auch das Problem lösen, dass die weibliche immer die "markierte" Form ist und nie die Hauptform, von der eben auch weitere Wörter abgeleitet werden. Mit ein Grund für Puschs Vorschlag, der damit aber leider nicht realisierbarer wird... (ich finde ihn ungewohnt, aber eigentlich nicht schlecht - gerade aus den vorher genannten Gründen. Klar wärs komisch, aber nichts, woran ich mich nicht gewöhnen könnte. Aber eben, gebe ihm keine Chancen zur Durchsetzung...)

zu den chicos/chicas: klar, dieses Problem löst ein Differentialgenus allein nicht. Aber das ist trotzdem einfacher zu lösen (Beidnennung) als die ganze markiert/unmarkiert-Geschichte...
(englisch ist hier echt sooo viel einfacher! klar gibts auch probleme, die sich aber mit in-den-Plural-setzen ziemlich leicht lösen lassen....)

silja (guest) - 9. Dec, 03:40

"Freundinlich" finde ich fast ein wenig übertrieben - zumal es ja der -in Problematik überhaupt keine Abhilfe schafft.

Finde Puschs Vorschlag auch nicht grundsätzlich schlecht, nur eben auch nicht realisierbar.

Wieso schaffen wir Artikel resp Gender nicht ganz ab? Würde es auch Beng ein bisschen leichter machen ;-).

Wir befinden uns hier tatsächlich in einer Zwickmühle, insofern als das Auslassen der weiblichen Form sexistisch ist, aber auch die weibliche Form an sich, und somit auch der Gebrauch derselben. Zu dieser Problematik ist tatsächlich die Einführung des Differentialgenus oder aber auch die Abschaffung des Genus die einzige Lösung. Aber auch dann - was tun wir mit Wörtern wie "Krankenschwester"?

barbara... - 13. Dec, 21:30

Genus abschaffen tönt sehr gut! Nur halt etwas schwierig durchzusetzen.... Alternativ einfach auf englisch umsteigen - ist leider aber auch keine wirklich konstruktive Lösung...

Mit den Krankenschwestern ists auch etwas problematisch (das Wort kommt übrigens daher, dass Pflege die Aufgabe von Nonnen war - wusste ich gar nicht). Es gibt ja jetzt die männliche Form 'Krankenpfleger' (typischerweise eine eigene Form, keine vom weiblichen Begriff abgeleitete - obwohl das in diesem Fall noch nachvollziehbar ist...). Die könnte man dann für beide Geschlechter benutzen. (Womit aber dann eine 'genuine' Frauenberufsbezeichnung verloren ginge - das müsste aber konsequenterweise wohl in Kauf genommen werden...)

[was für ein klammergefüllter kommentar! :-)]

silja (guest) - 14. Dec, 01:16

Oder sonst können wir auch zum Ausgleich eine 'markierte' männliche Form entwickeln - Krankenschwesterer? ;-)

 
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