Linguistically Speaking

Sprachsystem vs Sprachgebrauch

Nur so nebenbei: Soeben habe ich festgestellt, dass der im Englischen gebräuchliche s-Genitiv eigentlich gar kein richtiger 'Fall' ist, sondern vielmehr eine Derivation einer anderen Konstruktion:

John's book
ist nämlich ursprünglich eine Kontraktion von
John his book.

Die Form ist also eindeutig männlich, eine weibliche 'Gegenform' (Barbara'r book ;-)) existiert nicht (wo hingegen im 19. Jhdt noch eine Form wie "Cathy her book" (cf. Wuthering Heights) möglich war).

Da dem Sprachbenutzer hier also keine Wahl gelassen wird (im Gegensatz zum Gebrauch von "Studentin" etc.) diese Genitivform zu gebrauchen, ist hier m.E. eindeutig das Sprachsystem 'sexistisch', nicht der Sprachgebrauch.

Allerdings heisst das für mich in einem Fall wie diesem nicht, dass die Sprache/Sprachbenützer (bewusst oder unbewusst) diskriminieren. Vielmehr sind diese Elemente der Sprache einfach ein Zeichen dafür, dass die Sprache auf sexistischen Gesellschaftsstrukturen basiert.

Vielleicht beruhen die unterschiedlichen Ansichten von GKD und Pusch auf einer analogen unterschiedlichen Definition des Begriffs 'sexistisch' im Bezug auf Sprache? Und wo zwischen den beiden soll die Grenze des Reformdrangs gesetzt werden?
barbara... - 13. Dec, 21:21

Hm. Wusste ich nicht und finds sehr spannend!

Gute Frage, ob das jetzt diskriminierend ist. Insofern als wohl kaum jemandem bewusst ist, dass es sich um eine männliche Form handelt, finde ich das nicht so schlimm - die Kritik am generischen Maskulinum zielt ja gerade auch darauf ab, dass Frauen nicht mitgemeint werden und/oder sich nicht mitgemeint fühlen, was dazu führt, dass sie sich zb gewisse Berufe für sich schlecht vorstellen können. Dieses Problem stellt sich hier nicht. Aber damit argumentiere ich natürlich auch bereits nicht mehr auf Sprachsystem-Ebene, sondern mit vermuteten Auswirkungen von sprachlichen Formulierungen...

Dazu passt auch dein Hinweis auf den Reformdrang - denke, das triffts sehr genau. Einer der Hauptvorwürfe von GKD an viele feministische Untersuchungen ist, dass sie von der gesellschaftlichen Diskriminierung von Frauen ausgehen und ebenfalls davon, dass sich diese Diskriminierung in Sprachsystem und -gebrauch niederschlägt und dass so gesellschaftliche Hierarchien weitergetragen und -produziert werden. Das bringt gewisse Forscherinnen dazu,Unterschiede zu übertreiben, Gemeinsamkeiten zu übergehen sowie (nach GKD) rein grammatische Phänomene wie das generische Maskulinum anzugreifen.

Sie plädiert deshalb dafür, dass "die empirische Forschung zunächst primär von Theorie und nicht von Politik geleitet wird" (2005: 139) und Resultate weniger voreingenommen bewertet werden.
Finde das auch wichtig, gerade auch bei der Interpretation von Untersuchungen zu Gesprächsstilen etc. Allerdings sagt sie selbst anderswo, dass es unmöglich ist, "theorielos und ohne Voreinstellungen der Welt und somit den Konversationen begegnen zu können" (2005:166) - und ihre Einschätzung des generischen Maskulinums ist aus meiner Sicht genauso voreingenommen (oder: von eigenen Erfahrungen und der eigenen Wahrnehmung geprägt) wie die Interpretationen gewisser anderer Forscherinnen.

Ich vermute, dass sie sich mit dem generischen Maskulinum tatsächlich mitgemeint fühlt und/oder nicht glaubt, dass dies Einfluss auf die gesellschaftlichen Verhältnisse hat. Deshalb sieht sie auch keinen Handlungs- oder Reformbedarf sieht, während zb für Pusch das Gegenteil der Fall ist.

silja (guest) - 14. Dec, 01:41

In diesen 'Grenzfällen' kann man wahrscheinlich wirklich von beiden Seiten her argumentieren.

Auf jeden Fall finde ich, man sollte durchaus in Betracht ziehen sollte, dass semantische Veränderungen geschehen können, und somit auch Änderungen in der Assoziation im Bezug auf Diskriminierung.

I.e. auch wenn ein Begriff/Konzept/eine grammatikalische Konstruktion ursprünglich 'sexistisch' oder zumindest eine Wiedergabe der sexistischen Gesellschaftsstrukturen war, heisst das nicht, dass es immer noch als sexistisch empfunden wird - für heisst dies dann auch, dass es nicht mehr wirklich sexistisch ist.

Der his-genitive ist m.E. ein Beispiel hierfür - ich nehme an, ein verschwindend kleiner Anteil der Gesellschaft findet Anstoss daran. Ebenso finde ich, dass die -in Endung unproblematisch ist, aus denselben Gründen.

Ich glaube, dein Fazit zum Generischen Maskulinum ist durchaus korrekt. GKD fühlt sich anscheinend nicht 'diskriminiert' dadurch - wir hingegen schon, wodurch ich eben schon finde, dass der Gebrauch dieser Form 'sexistisch' sein kann.

Vielleicht sollten wir zwischen den beiden Problematiken klarer unterscheiden:

- zum einen haben wir die 'historisch' geprägten Begriffe/Formen, die sexistisch sein können (z.B. -in Endung)> diese müssten meiner Ansicht nach danach geprüft werden, ob sie immer noch als sexistisch empfunden werden oder nicht (> Einbezug des Elements der Bedeutungsveränderung)

- zum anderen haben wir Konzepte, die auf der Systemebene diskriminierend sein können (ev. gener. Maskulinum - oder eben auch 'markierte' Formen) > hier finde ich eher, dass die Gesellschaft sensibilisiert werden muss, so dass diese Ungleichheiten verschwinden

(This categorization needs some work...;-) - but what do you think?)

barbara... - 14. Dec, 11:07

Finde deine Kategorisierung sehr spannend! Habe aber auch einige Probleme damit, die aber ziemlich schwer zu fassen waren - habe diesen Kommentar jetzt dreimal neu geschrieben...

Deine Unterscheidung zwischen 'historisch geprägten' Formen und solchen 'auf Systemebene' ist mir nicht ganz klar. Es geht letztendlich bei beiden um das Sprachsystem, oder? Das natürlich immer historisch geprägt ist.

Gehts nicht vielmehr darum, ob gewisse Formen als sexistisch empfunden werden oder auch erkannt werden sollten? Also darum, wo 'Aufklärungsarbeit' geleistet werden sollte bzw. Veränderungen nötig sind, um beide Geschlechter gleich zu behandeln?

Vielleicht würde eine Unterscheidung in 'formale Ebene' und 'Bedeutungsebene' helfen (wobei die Frage ist, wo genau hier die Systemebene in die Gebrauchsebene über geht - ich kann Bedeutung nicht völlig vom Gebrauch abkoppeln. Versuchs jetzt trotzdem mit dieser Unterscheidung:)
Von der Bedeutung her gesehen hat die -in-Form evt. früher mal 'Frau von' bedeutet, diese Bedeutung hat sich aber inzwischen verändert (vermute ich jetzt mal). Sie kann also verwendet und unterstützt werden.

Formal gesehen ist das -in-Suffix eine Ableitung vom Maskulinum (grammatisches Genus, lasse Sexus erstmal noch draussen). Sie ist also die abgeleitete, markierte Form. Damit hängt letztendlich auch die Problematik des generischen Maskulinums zusammen - das Maskulinum kann nur generisch funktionieren, weil es sich um das Archilexem/die unmarkierte, einfachere und kürzere Form handelt, von dem die weibliche Form abgeleitet ist. Was zum Problem führt, dass das Maskulinum doppeldeutig ist/so verwendet wird

(das ist mir immer noch nicht klar. Hab grad die Stelle bei GKD nochmal gelesen, wo sie explizit dagegen argumentiert, dass es sich um eine Frage des Sprachgebrauchs handle - es sei im System angelegt, dass das Maskulinum doppeldeutig sei, da sonst das Femininum gar nicht davon abgeleitet werden könnte. Finde das immer noch unlogisch. Ist es wirklich unmöglich, von einem bedeutungsmässig männlichen Wort ein weibliches abzuleiten? Als Bsp. werden dann die Familienbezeichnungen genannt - zu Bruder gibts ein eigenes sexusspezifisches Wort, es wird nicht abgeleitet. Hmmmm.)

Versuche, deine Kategorisierung nochmal zu fassen. Gehts dir nicht letztendlich darum, was mit oder gegen bestimmte Formulierungen getan werden soll? (Wir waren uns ja einig, dass das Sprachsystem zumindest des deutschen/englischen sexistisch ist).

- Einerseits Begriffe/Formen, die von ihrer Entstehungsgeschichte her sexistisch sind, heute aber nicht mehr so empfunden werden (zb engl. Genitiv, Bedeutung von -in), keine negative Konsequenzen für Frauen haben (beim nochmaldurchlesen finde ich das eigentlich den wichtigeren Punkt) und so nicht verändert/angegriffen werden müssen.

- Andererseits Begriffe/Formen, die Nachteile für Frauen bringen - zb das generische Maskulinum, das ihnen weniger Chancen des Gemeintseins einräumt bzw. sie im Ungewissen darüber lässt, ob sie wirklich gemeint sind. Diese Formen sollen verändert werden. Das kann aber bedeuten, dass v.a. die Männer erstmal darauf sensibilisiert werden müssen, dass es da Probleme gibt. (Das Problem bleibt aber, dass es Frauen gibt, die sich mit dem Maskulinum durchaus gemeint fühlen - und es ziemlich anmassend wäre, diese 'umerziehen' zu wollen bzw. ihnen zu unterschieben, sie hättens nicht begriffen. Ein schwieriger Punkt. Mein Argument wäre aber, dass zb GKD ja selbst Untersuchungen zitiert, die zeigen, dass die meisten Leute das generische Mask. nicht generisch verstehen (GKD 2005:49) - und das wäre bereits ein Grund dafür, gegen diese Formulierung zu kämpfen).

what do you think? war das überhaupt das, was du gemeint hast?

silja (guest) - 16. Dec, 07:56

Gebe zu, die Formulierung von 'historisch geprägten' Formen und solchen auf Systemebene ist nicht eindeutig (da eben auch das System historisch geprägt ist).

Das -in Beispiel war nicht gut gewählt von mir um meine Kategorisierung zu illustrieren, da es auf beiden Ebenen als sexistisch empfunden werden kann. Auf der historischen, weil es mal 'Frau von' bedeutete, auf der theoretischen Ebene (vieleicht ein besserer Begriff), da es eine 'markierte' Form ist. (Das ist auch das, was du sagst, oder?)

Ich denke, deine Kategorisierung stimmt mit dem was ich meinte überein (wir verstehen uns also, juhui! ;-)). Nur halt die Terminologie, immer etwas schwierig Ich finde auch die Unterscheidung 'formale Ebene' (= was ich mit Systemebene oder theoretischer Ebene meinte, oder?) und 'Bedeutungsebene' (= historisch) nicht eindeutig voneinander abgrenzbar. Aber wir sind uns einig, glaube ich.

Stimmen wir also insofern überein, als dass die historische Bedeutungsebene egal ist, sofern sie keine negativen Konsequenzen hat für die Sprachbenutzer? (Wie z.B. der Begriff 'schwul' > positive Bedeutungsveränderung). (Wenn ich dich richtig verstanden habe schon). Dann können wir nämlich unsere Diskussion um einen Aspekt vereinfachen. ;-)

Fokussieren wir also von nun an die Diskussion auf die theoretische/formale Ebene. Hier ist, wie du sagst, die Frage, wie weit die Bevölkerung aufgeklärt werden sollte (i.e., soll man z.B. darauf aufmerksam machen, dass die -in Form eine markierte Form ist? Vielen ist das nicht bewusst). Du sagst selbst, dass es ja auch darum geht, ob gewisse Formen als sexistisch empfunden werden. Wir könnten sagen:

- sofern Formen bereits als sexistisch empfunden werden (wie z.B. der Begriff 'Fräulein'), soll m.E. eindeutig eine andere Lösung gesucht werden (wie dies ja in diesem Fall geschah).

- sofern dies nicht der Fall ist, sollte untersucht werden, ob die Ungleichheit in der formalen/theoretischen Ebene negative Konsequenzen hat für das Geschlecht (oder z.B. auch die Rasse). Falls dies der Fall ist (wie z.B. beim gener. Maskulinum, wie du ansprichst), sollte die Bevölkerung aufgeklärt werden, und ebenfalls eine andere Lösung gesucht werden. Falls nicht, ist auch eine Ungleichheit auf der theoretischen Ebene ok (z.B. his-genitiv).

barbara... - 19. Dec, 19:10

Schön, dass wir uns verstehen :-)!
Diese Neufassung der Kategorisierung finde ich gut!

Zum zweiten Fall frage ich mich aber immer noch, inwieweit 'Aufklärung' möglich und sinnvoll ist. Ich finde das oft etwas schwierig, vor allem bei Frauen, die zb die ganze Diskussion ums generische Maskulinum lächerlich finden und meinen, sie fühlten sich damit durchaus gemeint und fänden alles andere eh zu kompliziert...

(Dazu noch ein anderer (weiblicher!) Standpunkt, hab einen neuen Post draus gemacht weils sonst zu lang geworden wär hier)

 
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