Linguistically Speaking

Generisches Maskulinum: noch zwei Punkte

1) Zu einem Argument der 'BefürworterInnen' des generischen Maskulinums:

Genus vs. Sexus seien zu unterscheiden - die Genera der Substantive im deutschen seien arbiträr und hätten nichts mit dem Sexus zu tun, die einzige Ausnahme seien Familienbezeichnungen. Das wäre dann der Streitpunkt - ich würde sagen, dass bei Personenbezeichnungen generell davon ausgegangen werden kann, dass Genus und Sexus übereinstimmen. (Aber vor diesem Hintergrund ist mir klar erst wirklich klar, warum behauptet werden kann, auch über eine Frau könne gesagt werden: "Der Student hat sein Examen geschrieben. Er ist jetzt lizentierter Linguist" (für mich klar falsch, *haarsträub*))

Dagegen würde ich einwenden, dass nicht unabhängig von SprecherInnen einer Sprache und deren Kompetenz entschieden werden kann, ob die Verbindung zwischen Genus und Sexus gemacht wird oder nicht. Wie Studien gezeigt haben, werden für maskuline Formen (Genus) deutlich häufiger männliche Menschen (Sexus) assoziert/vorgestellt, die meisten SprecherInnen des deutschen scheinen also diese Verbindung zu machen. Aber sogar wenn man davon ausgeht, dass alle diese Leute (auch LinguistInnen....) Sprache einfach falsch verstehen und auf die "Metapher des Genus" hereinfallen (was ich ziemlich arrogant finde), kann diese Tatsache doch nicht einfach ignoriert werden? Sie hat offensichtlich konkrete, diskriminierende Folgen, weshalb Veränderungen nötig sind. Woraus dann der Umkehrschluss gezogen werden könnte: die Theorie ist hier einfach falsch. Aber dann sind wir schon wieder mitten in der Diskussion darum, was die Linguistik kann und soll - nur beschreiben (wobei sie bestimmte Modelle, zb das Saussursche, voraussetzt), oder auch kritisieren, wo Sprache diskriminiert...


2) Zur Frage, ob das generische Maskulinum etwas Systembedingtes ist, ein Zitat von Samel (2000:76). Es geht eigentlich ums generische Femininum.
"Das System der deutschen Sprache bietet die Möglichkeit, das Maskulinum mit einer doppelten Bedeutung zu belegen, hingegen trifft dies für das Femininum nicht zu. Umgekehrt ist nun das Femininum mit einer doppelten Bedeutung belegt, es bezeichnet zum einen nur Frauen, zum anderen Frauen und Männer gemeinsam, es ist ambig. Das Maskulinum bezeichnet nur noch Männer"

Ihre Argumentation ist nicht logisch, oder? Entweder gibts im Sprachsystem nur die Möglichkeit zum generischen Maskulinum, dann ist das generische Femininum unmöglich - oder aber es ist keine Frage des Sprachsystems, sondern des Gebrauchs, und dann kann auch das Femininum generisch verwendet werden (was ja meistens explizit angekündigt wird - was fürs generische Maskulinum heute aber auch oft der Fall ist.
(leider argumentiert Samel oft so, leicht undurchsichtig. @Daniela, ich hoffe sehr fest, dass ich ihr das nicht vorwerfe, weil sie eine Frau ist - hab schon fast Hemmungen, ihr das vorzuwerfen, finde aber einfach wirklich, dass es schlecht geschrieben/argumentiert ist, oft unlogisch und ohne Verbindung. @Silja: sorry das Insider-aside - hatte erst grad mit Daniela drüber diskutiert, dass Frauen bei gleichen Leistungen für weniger kompetent gehalten werden....)

Die Literaturangabe: Ingrid Samel (2000, 2. Aufl.): Einführung in die feministische Sprachwissenschaft.
Gute Übersicht, m.E. aber ziemlich unsystematisch - oft nicht markierte Vor- und Rückgriffe oder kleinere Exkurse...
Daniela (guest) - 14. Dec, 20:58

Erst mal: Herzlichen Dank dass ich mitlesen und mitreden darf. Find's extrem spannend eure Diskussion zu verfolgen, mal schauen ob und wieviel ich dazu beitragen kann...

@Barbara: Falls du irgendwann alle Experten in Feministischer Linguistik viel kompetenter finden solltest als die entsprechenden Expertinnen, werde ich darauf zurückkommen. Momentan sehe ich aber noch keinen Anlass zur Besorgnis :-) Gegen gut begründete Kritik ist ja per se nichts einzuwenden, so lange sie bei allen gleichermassen geübt wird.

Das Zitat von Samel verstehe ich ehrlich gesagt nicht wirklich. Liegt es am mangelnden Kontext? Worauf bezieht sie sich mit "nun"? Spricht sie da von einer anderen Sprache, die sie mit der deutschen kontrastiert? Dann würde es Sinn machen. Dann würde sie sagen, dass das generische Maskulinum, resp. Femininum, vom Sprachsystem abhängig und so von Sprache zu Sprache unterschiedlich angelegt ist, oder?

Zu deinem ersten Punkt: Ich finde das Argument mit den vom "Sexus" (oder wenn schon ja wohl "Gender", was die Sache paradox macht...) unabhängigen Genera für Personenbezeichnungen auch unhaltbar. Dagegen spricht zum Einen, dass Formen wie "Arzt" oder "Lehrer" generisch verwendet werden, während es z. B. weibliche Bezeichnungen wie "Krankenschwester" oder "Kindergärtnerin" gibt (die wesentlich verbreiteter sind als ihre männlichen Pendants). Der Grund dafür liegt sehr wohl in den Geschlechterverhältnissen der jeweiligen Berufsgruppen. Darüberhinaus kommt wohl niemand auf die Idee, einen Mann als Krankenschwester oder Kindergärtnerin zu bezeichnen, auch wenn dies die üblicheren Formen sind. Weibliche Personenbezeichnungen haben somit auf jeden Fall einen Bezug zum Geschlecht der Bezeichneten. Ich sehe darum nicht ein, weshalb dies für die männlichen nicht so sein sollte. GKD würde jetzt sagen, dass es männliche und "neutrale" Formen gibt, die rein zufällig gleich heissen. Das wäre aber dann bloss eine weitere der vielen Asymmetrien der Sprache (um mich vor der "System vs. Gebrauch"-Frage zu drücken), die in ihrer Gesamtheit ebenfalls diskriminierend sind. Es ist schliesslich nicht eine einzelne Personenbezeichnung, bei der die generische Form mit dem Maskulinum übereinstimmt, oder z. B. der s-Genitiv für sich, die diskriminierend sind, vielmehr ist es die Fülle solcher Asymmetrien und -- insbesondere -- dass diese immer das Männliche als das Unmarkierte, das Weibliche als das davon Abgeleitete, Markierte, Mitgemeinte annehmen.

Der Sprachgebrauch ist nicht unabhängig von gesellschaftlichen Verhältnissen und da der Sprachgebrauch das Sprachsystem prägt, verändert und schlussendlich sogar hervorbringt, ist es doch nur logisch, dass in beiden auch diskriminiert wird (ausser wir wären der Meinung, dass die Gesellschaft frei von Diskriminierung ist...). Phänomene wie der s-Genitiv illustrieren in erster Linie, dass zur Zeit ihres Entstehens Frauen "mitgemeint" und somit diskriminiert wurden. Ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll wäre den s-Genitiv zu verändern, da seine ursprüngliche Bedeutung heute nicht mehr wahrnehmbar ist. Das Sprachsystem zu ändern dürfte zudem ein sehr schwer umsetzbares Vorhaben sein (wie ja leider auch am Beispiel Pusch deutlich wird). Wenn es aber zumindest gelingen würde, einen nichtdiskriminierenden Sprachgebrauch zu erreichen, so würde sich das bestimmt auch auf das Sprachsystem der Zukunft auswirken.

silja (guest) - 15. Dec, 02:05

Schön, eine weitere Mitdenkerin/Mitschreiberin zu haben!! ;-)

Ich verstehe das Zitat auch nicht wirklich - so wie's steht macht's für mich nicht wirklich Sinn?

Zur Sexus vs. Genus - Diskussion:
Ich stimme weitgehend mit eurer Meinung und Argumentation überein, und denke, dass die beiden im Deutschen im Bezug auf Personen oft in Verbindung miteinander stehen. Allerdings denke ich, dass Genus & Sexus grundsätzlich tatsächlich zu unterscheiden sind, wenn auch nur auf der Systemebene. Theoretisch, denke ich, könnten Personenbezeichnungen unabhängig vom Sexus geschehen. Da der Gebrauch aber eben schon (zu) stark geprägt ist, funktioniert die Abstrahierung im Deutschen nicht (im Englischen hingegen schon, wie schon diskutiert). Zumindest für unsere Generation nicht mehr (gottseidank! :-)).

Würde also nicht die Theorie als 'grundsätzlich falsch' bezeichen, sondern nur die Anwendung auf die deutsche Sprache im jetztigen Zeitpunkt (da eben die weiblich 'markierte' Gegenform existiert).

Die Assoziation, die du (Barbara) ansprichst, finde ich sehr wichtig, da eben auch unsere Gesellschaftsstrukturen z.T. auf solchen Assoziationen beruhen (z.B. weil sich ein Mädchen aufgrund der Genderisierung vielleicht besser vorstellen kann, 'Krankenschwester' zu werden als 'Arzt'.)

Daniela (guest) - 19. Dec, 09:29

Ich glaube was die Assoziationen und ihre Wirkung betrifft, sind wir uns alle einig. Bei der Genus vs. Sexus Diskussion bin ich mir noch nicht ganz sicher, was ich davon halten soll. Ich bin damit einverstanden, dass man die beiden unterscheiden muss, weiss aber nicht, ob sie absolut unabhängig voneinander sein könnten (ich gehe mal davon aus, dass sie es im Deutschen nicht sind, ebensowenig im Englischen, z. B. bei den Pronomen). Auf jeden Fall habe ich mich gefragt, was die Konsequenz wäre, wenn Genus und Sexus tatsächlich voneinander unabhängig wären. Aus einer dekonstruktiv-feministischen Position wird ja argumentiert, dass das Geschlecht (hier Sexus) diskursiv konstruiert wird. Das heisst doch aber auch, dass das Genus eine wichtige Rolle bei der Konstruktion vom Sexus spielt, oder? Die Konsequenz davon wäre dann, dass Genus und Sexus untrennbar verbunden sind, nicht weil sich die Kategorisierung des Sexus in der Sprache niederschlägt (wie GKD es auf S. 19 formuliert), sondern weil die Konstruktion des Sexus auf dem Genus beruht. Eine Trennung des Genus vom Sexus müsste dann eigentlich zur Auflösung des Sexus führen.
Ich kann mich darum weder mit einem Ansatz, der das Genus als vom Sexus abgeleitet betrachtet, noch mit einem der die beiden als grundsätzlich unabhängig darstellt so richtig anfreunden. Gibt es da noch andere? Aber vielleicht lese ich in letzter Zeit ja auch einfach zu viele Texte zu Poststrukturalismus und (Geschlechter-)Dekonstruktion...

barbara... - 19. Dec, 19:30

[hab leider schon fast keine Zeit mehr (die machen zu hier), kann drum nicht mehr auf alles eingehen :-( nur kurz zu Danielas letztem Einwurf]

Obs Sexus (oder wirklich eher Gender) ohne Genus überhaupt gibt finde ich eine sehr spannende Frage, muss da noch drüber nachdenken.
was mir jetzt grad durch den Kopf geht: wie ist das denn in Sprachen wie zb Ungarisch, die keine pronominale Geschlechterdifferenzierung kennen? (bin da heute grad drauf gestossen - in Hellinger über kontrastive feministische Linguistik.) Bin mir nicht sicher ob das heisst, dass die finno-ungrischen Sprachen gar keine Genera kennen? Und ob statt dessen die Geschlechterifferenzierung lexikalisch funktioniert? Ich merke, das ich mir eine Sprache, die gar keine Geschlechterunterschiede kennt, gar nicht wirklich vorstellen kann. Zumindest für mich ist Geschlecht durchaus etwas, dass zumindest auch sprachlich hergestellt wird...

silja (guest) - 19. Dec, 23:43

Vielleicht kann man sagen, dass Sexus (tatsächliches Geschlecht) und Genus (grammatikalisches Geschlecht) auf Systemebene unabhängig voneinander funktionieren können (aber nicht müssen, und dies meistens nicht tun), aber Gender eben nicht unabhängig von Genus ist, da Gender eben auch sprachlich geformt wird?

Daniela (guest) - 20. Dec, 00:09

Das ist ein guter Punkt, den du da ansprichst, das habe ich mir auch schon überlegt. Ich wollte der Frage, wie Geschlechterdifferenzierung in verschiedenen Sprachen funktioniert schon lange einmal etwas systematisch nachgehen... (ich könnte ja einen ROSA-Artikel dazu schreiben ;-) ). Zur Zeit habe ich grad nur GKD zur Hand und die ist in diesem Punkt leider nicht so ausführlich. Auf S. 19 bringt sie vier Punkte dazu, wie das "Reflex von Geschlecht in der Sprache" aussehen kann (wobei mir nicht ganz klar ist, ob das eine systematische Auflistung oder bloss beispielhaft sein soll):

- spezifische morphologische und syntaktische Muster für geschlechtsspezifische Anredeformen (z. B. Honorifics), oder bestimmte geschlechtsspezifische Wörter oder Wortformen.
- Verbformen die vom Geschlecht des/der SprecherIn abhängen
- dito für Nomina
- geschlechtsspezifische Präferenz für grammatische Formen, Aussprachevarianten und Elemente des Lexikons in verschiedenen Sprachen.

Muss ehrlich sagen, je länger ich die 1.5 Seiten hier lese, desto weniger verstehe ich was sie genau sagen will. Unmittelbar nach dieser Auflistung spricht sie davon, inwiefern Frauen und Männer das Sprachsystem unterschiedlich gebrauchen, resp. unterschiedliche Register verwenden, was sich auf diese Auflistung beziehen liesse. Gleich danach spricht sie hingegen über "das Genussystem, die Personen- und Berufsbezeichnungen und Formen der pronominalen Referenz [...]" Das sind doch aber zwei grundsätzlich zu unterscheidende Dinge: Während geschlechtsspezifsche Register nur von Personen eines bestimmten Geschlechts verwendet werden können, können sich geschlechtsspezifische Personenbezeichnungen oder Pronomen nur auf Personen eines bestimmten Geschlechts beziehen. Diese Unterscheidung macht sie nicht explizit, was ich ziemlich verwirrend finde...

Auf jeden Fall interessant ist aber eine Aussage ganz am Anfang der S. 19 (sorry, mir fehlen irgendwie die Buttons um das also Zitat zu markieren, mach's jetzt einfach kursiv):


Bislang wurde von noch keiner Sprache berichtet, die völlig neutral ist bezüglich des Reflex' biologischer und sozial interpretierter Geschlechtsunterschiede in ihrem System.


Das würde dann wohl bedeuten, dass auch in finno-ungarischen Sprachen irgend eine Art von Geschlechterdifferenzierung vorhanden sein muss. Wäre wirklich spannend sich das mal etwas genauer anzuschauen.

daniela (guest) - 20. Dec, 00:23

Ach, jetzt hab ich ein Durcheinander veranstaltet. Ich war zu langsam mit Kommentieren, so dass ich Siljas Kommentar noch nicht gesehen habe bevor ich meinen losschickte. Mein letzter bezieht sich also noch auf Barbaras Kommentar...

Zu Siljas Punkt: Butler würde hierzu sagen, dass es so etwas wie ein tatsächliches Geschlecht gar nicht gibt. Ihrer Meinung nach wird auch Sex, genau wie Gender, diskursiv konstruiert.

silja (guest) - 27. Dec, 01:14

Ich denke, mit dieser Ansicht steht Butler ziemlich alleine da in den Sozialwissenschaften - ich denke, ich habe eindeutig ein tatsächliches Geschlecht (Sexus), zumindest physiologisch gesehen...

 
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