Linguistically Speaking

Daniela zu Gleichbehandlung & Sprachvergleich

[Das folgende ist alles von Daniela; ich habe mir erlaubt, daraus einen neuen Post zu machen, weil ich finde, dass da neue Aspekte aufkommen, die in einer neuen Runde besser diskutiert werden können]

Ich habe mich gestern grad in eine sehr interessante Artikelsammlung eingelesen: "Gender Across Languages: The linguistic representation of women and men", editiert von Marlis Hellinger und Hadumod Bussmann (2001, John Benjamins Publishing). In drei Bänden werden darin insgesamt 30 Sprachen nach den (soweit möglich) gleichen Kriterien auf ihre "gendered structures" hin untersucht. In der Einleitung dazu gehen sie auf die Vor- und Nachteile von Sprachen ein, die "gendered" sind (in erster Linie: ein Genussystem haben) oder eben nicht. Sie schreiben da (Band 1, S. 19f.):

"The assumption may be plausible that gender languages offer the larger potential for the avoidance of male-biased language - simply because female visibility is more easily achieved on the level of expression. At the same time, advocating an increase in female visibility may create problematic and potentially adverse effects in languages like Russian or Hebrew, where masculine/male terms for female reference are evaluated positively even by women. In addition, cosistent splitting, i.e. the explicit use of both women and men, is considered to be stylistically cumbersome by many speakers, esp. in languages with case. Thus, a comparative view would have to investigate the ways in which structural prerequisites interact with sociolinguistic tendencies of change.
By contrast, 'genderless' languages seem to provide more possibilities for egalitarian and gender-neutral expressions, by avoiding the dominant visibility of masculine terms, and stereotypical associations of feminine terms with secondary or exceptional status. However, in genderless languages it may be even more difficult to challenge the covert male bias and the exclusion of female imagery in many personal nouns."

In ihrem Artikel zum Türkischen untersucht Friederike Braun dann genau diesen "covert male bias" den viele scheinbar geschlechtsneutrale Bezeichnungen haben, anhand von verschiedenen Studien. Die Ergebnisse sind wirklich sehr eindrücklich, falls ihr mal Zeit habt das zu lesen kann ich euch das sehr empfehlen. Unter anderem war es der Fall, dass in einer Studie, in der den Teilnehmenden gesagt wurde es ginge um die Akzeptabilität von Sätzen die automatisch übersetzt worden sind, Sätze wie "A 22 year old football player, who had been married for only two days, lost her 22 year old husband in a tragic car accident in Maltepe yesterday" oftmals als nicht-akzeptabel eingestuft wurden, da "futbolcu" (football player) als nicht auf Frauen zutreffende Bezeichnung empfunden wurde. Die Teilnehmenden haben ausgesagt, sie würden den gleichen Sachverhalt mit anderen Worten ausdrücken wollen, so dass das Geschlecht der Fussballspielerin klar zum Ausdruck kommt. Wurde der Sachverhalt umgekehrt (männlicher Fussballspieler mit Ehefrau), wurde die Akzeptabilität sehr viel höher eingestuft. (Band 1, S. 292ff.)

Braun geht dann auch auf mögliche Lösungsansätze und Perspektiven ein (S. 303f.). Vereinzelt wurden im Türkischen in der letzten Zeit frauenspezifische Bezeichnungen (vor allem Berufsbezeichnungen) eingeführt, als Gegenstück zu Bezeichnungen die 'adam' beinhalten, das eine stark männliche Konnotation trägt, da es in erster Linie 'Mann' heisst aber auch (begrenzt) generisch verwendet werden kann. Braun sieht das Hauptproblem aber im "covert gender", da viele scheinbar geschlechtsneutrale Bezeichnungen stark geschlechtlich geprägt sind. Sie sagt:

"Especially desirable would be a change in the gender semantics of terms from neutral domains, such as kis,i 'person' or birisi 'someone', for the pervasive pattern of equating males and humans can lead to a neglect of women's interests and rights. But a constant repetition of explicitly 'female' forms, in order to enhance female visibility and to directly evoke female associations, would be a strategy which is alien to Turkish language structure (hence promising little success), and would in addition enhance the existing tendency to treat females as the marked gender. It might therefore be more promising to avoid explicit female markings in the hope of including females in those categories whose covert gender is originally male. But it is difficult to predict to what degree or in which timespan such a strategy might produce results."

Hier kommt wieder zum Ausdruck, dass die Veränderung der Assoziationen eines Begriffs sehr viel schwieriger zu bewerkstelligen ist, als wenn ein zusätzlicher Begriff eingeführt wird. Einen interessanten Punkt finde ich ausserdem, dass die Wahl der "Strategie" vom Sprachsystem abhängen soll. Vor diesem Hintergrund denke ich (wie bereits oben erwähnt), dass sich im Deutschen die Beidnennung schon anbietet, da bereits geschlechtsspezifische Bezeichnungen bestehen.

(Entschuldigt bitte das Sprachchaos. Über ein englischsprachiges Buch würde man wohl besser in Englisch diskutieren, ich spiele aber ein wenig mit dem Gedanken eines ROSA-Artikels zum Thema und wollte das darum schon mal auf Deutsch formulieren...)
barbara... - 5. Jan, 14:56

Hellinger (Kontrastive feministische Linguistik, 1990, 115ff.) untersucht Tendenzen in verschiedenen europäischen Sprachen. Dabei zeigt sie, dass nicht alle Sprachen ohne m/f-Genusopposition eine Neutralisierungsstrategie verfolgen würden, wie das zb im englischen der Fall ist. Im Niederländischen zb gibts keine m/f-Genusopposition, trotzdem werden neue Bezeichnungen für Frauen gebildet. Die entsprechenden Ableitungsmuster sind etabliert & produktiv & meistens nicht negativ konnotiert.

Umgekehrt können auch Sprachen mit m/f- Genusopposition eher auf Neutralisierung als auf Feminisierung setzen - es kommt auch darauf an, wie stark Kongruenzregeln im Sprachsystem verankert sind, und darauf, welchen Stellenwert die femininen Wortbildungsmuster haben - im norwegischen (3 Genera) zb sind Kongruenzbeziehungen viel weniger wichtig, ausserdem sind feminine Ableitungssuffixe nicht besonders produktiv und eher pejorativ. Darum wird eher eine Neutralisierung gefördert, die existierenden morphologischen Feminina werden immer weniger gebraucht.

Finde das Türkisch- Beispiel sehr spannend - und frage mich, obs solches nicht auch im Englischen gibt oder gab.
Und der übliche Teufelskreis: die Bedeutung von 'futbolcu' würde sich vermutlich ändern, wenn konsequent auch fussballspielende Frauen sichtbar wären & so bezeichnet würden. Könnte mir auch vorstellen - das ist reine Spekulation, kenne die türkischen Verhältnisse gar nicht! - dass fast alle (öffentlichen) Fussballspielenden eben tatsächlich Männer sind (hängt sicher auch von der Gesellschaft ab)

- ein spannendes Bsp. ist da auch Italien (auch aus Hellinger). Da gäbe es die Ableitung von f&m-Formen aus gemeinsamen Formen (invitata/-o), was zb auch bei 'avvocato' möglich wäre - das Pendant dort ist aber scheinbar nicht 'avvocata', sondern 'avvocatessa', wobei -essa ein ziemlich negativ konnotiertes Suffix sei. Deshalb nennen sich Frauen lieber gleich 'avvocato'. Paradox, oder? Hellinger meint, das dies wahrscheinlich mit den in Italien oft sehr traditionellen Rollenvorstellungen zu tun habe).

silja (guest) - 6. Jan, 05:37

Finde das sehr spannend, was ihr alles zu erzählen habt! Möchte noch zum Avvocatessa-Beispiel sagen: im Deutschen ist es ja eigentlich ähnlich, z.B. von wegen Koch und Köchin (eine Köchin ist eben nicht ein weiblicher weiblicher Koch, welches die offizielle Berufsbezeichnung ist).

Zum türkischen Fussballspieler: Ich denke auch, das dieses Beispiel zwar von den meisten als grammatikalisch korrekt angesehen würde auf Englisch, aber doch als 'etwas komisch' empfunden würde - eben aufgrund der von dir (Barbara) genannten Ursachen. Ich denke, es würde uns sogar bei 'Doctor' so gehen.

Ich finde auch, dass es ein gutes Beispiel für das 'covert male bias' ist (oder wahrscheinlich eher 'covert gender bias', da man ja in anderen Fällen eher an eine Frau denken wird?). Allerdings verändert eine Änderung der Formen nichts daran, das z.B. beim Wortfeld 'Fussball' zuerst an einen Mann gedacht wird (was ja meistens auch kein Problem ist). Vielmehr ist es ein Beispiel dafür, das die Sprachstrukturen die Gesellschaftsstrukturen viel eher reflektieren als konstituieren.

Daniela (guest) - 6. Jan, 11:07

Ja, das mit den unterschiedlichen Strategien in den europäischen Sprachen ist wirklich sehr spannend. Zu den romanischen Sprachen könnte uns Bernice sicher auch einiges erzählen...

Von der Koch/Köchin-Unterscheidung hatten Barbara und ich es kürzlich auch schon. Ich hab dann mal etwas nachgeforscht und den Eindruck gekriegt, dass sich da offenbar in letzter Zeit etwas geändert hat. Auf den offiziellen Berufsberatungsseiten jedenfalls, werden jeweils beide Bezeichnungen aufgeführt, z.B. hier: www.berufsberatung.ch
Was auf dieser Website auch interessant ist: die Bezeichnung wechselt abschnittsweise, was ich extrem verwirrend finde. Als ich den Text zum ersten Mal las, hatte ich den Eindruck, dass geschlechtsspezifische Tätigkeiten unterschieden würden.

Zum 'doctor' im Englischen habe ich grad noch ein paar Angaben gefunden. Romaine (auch in Gender Across Languages) hat im BNC nachgeschaut und 125 Vorkommen von 'lady doctor', 20 mal 'woman doctor' und 10 mal 'female doctor' gefunden, hingegen nur 14 mal 'male doctor', einmal 'man doctor' und keinen 'gentleman doctor'. Wobei wohl davon ausgegangen werden kann, dass wesentlich häufiger von männlichen als von weiblichen 'doctors' die Rede war...

Noch eine Ergänzung zur Frage des 'male bias' vs. 'gender bias'. Ich hätte auch gedacht, dass weiblich geprägte Bezeichnungen etwa gleich häufig explizit als männlich gekennzeichnet würden wenn sie auf Männer angewendet werden, wie umgekehrt. Interessanterweise ist das aber offenbar nicht der Fall! Braun zitiert dazu eine Studie, in der ein kurzer Text vom Englischen ins Türkische übersetzt werden musste. Der Text beschreibt einen Verkehrsunfall und lag in 6 x 2 Versionen vor (je zwei Personenbezeichnungen aus männlicher, weiblicher und neutraler Domäne und je einmal männlich und weiblich belegt). Untersucht wurde nun, wie häufig das Geschlecht der Person in der türkischen Übersetzung markiert wurde. Wie zu erwarten war, wurden Frauen, die mit männlich geprägten oder neutralen Bezeichnungen beschrieben waren, wesentlich häufiger als 'weiblich' markiert als die entsprechenden Männer als 'männlich'. Allerdings wurden männliche 'househelpers' und 'secretaries' (beide Bezeichnungen sind im Türkischen stark weiblich geprägt), nicht häufiger als 'männlich' markiert als die Frauen mit diesen Berufen als 'weiblich'! (In absoluten Zahlen sogar seltener! Allerdings war der Unterschied nicht statistisch relevant...) Braun schliesst daraus, dass das männliche Geschlecht, unabhängig vom Kontext, meistens nicht markiert wird, während das weibliche Geschlecht markiert wird, sofern es sich nicht sowieso schon um einen weiblich geprägten Kontext handelt, der die Markierung überflüssig macht.

barbara... - 6. Jan, 12:07

Zum 'covert gender bias': Hellinger verwendet dafür das Konzept 'soziales Geschlecht' (in Abgrenzung zu 'grammatischem' & 'natürlichem' Geschlecht). Sie meint damit, dass im Englischen zb 'lawyer' (oder eben auch 'footballer') prototypisch auf einen Mann verweist, also die Bedeutung [prototypisch männlich] hat, und entsprechend auch mit he pronominalisiert wird.

Allerdings denke ich, dass wir einfach die ersten paar Male stolpern, wenns wir merken, dass es zb bei 'footballer' um eine Frau geht - spätestens beim 10. Mal wäre dann wohl klar, dass es sich auch um Frauen handeln würde. Das Problem ist nur, dass es zu diesem Prozess nie kommt, wenn weibliche 'footballer' nie so benannt werden,weil das unakzeptabel scheint...

Dass auch Bezeichnungen, welche (nach Hellingers Klassifizierung) die Bedeutung [prototypisch weiblich] hätten, nicht spezifiziert werden, wenn sie auf Männer angewendet werden, finde ich sehr komisch! Wird in Beschreibungen von 'öffentlichen' Events vielleicht implizit davon ausgegangen, dass es sich sowieso um Männer handelt? Oder wäre das eine Art 'generisches Femininum' auf Bedeutungsebene (also ein weiblich assoziierter Ausdruck, der trotzdem auch für Männer verwendet werden kann?). Weird, that!

Die Strategie, in Texten abwechslungsweise weibliche und männliche Bezeichungen zu verwenden, ist mir auch schon begegnet - und ich find sie auch sehr irritierend. Wirklich schlechte Lösung.

 
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