Linguistically Speaking

AutorInnenproblematik?

Aus aktuellem Anlass wieder feministische Linguistik: diesmal Personenbezeichnungen in wissenschaftlichen Arbeiten. Ich habe in meinen letzten Arbeiten immer mit dem Binnen-I und Pluralbezeichnungen gearbeitet (RezipientInnen etc.), bin aber auch immer mal wieder auf andere Varianten gestossen. Die Fussnote "alle (maskulinen) Personenbezeichnungen beziehen sich auch auf Frauen" löst das Problem nicht wirklich, davon raten auch die meisten Ratgeber zur sprachlichen Gleichberechtigung ab (zum Beispiel derjenige der Uni Zürich ).

Eine andere Methode, die mir empfohlen worden ist, funktioniert so:
Für theoretische Konzepte aus Soziologie, Publizistik und Linguistik (z.B. Akteur, Kommunikator, Rezipient, Adressat) wird auf Paarformeln (Akteure und Akteurinnen, Kommunikatoren und Kommunikatorinnen etc.) verzichtet, weil es sich um abstrakte Grössen und spezifische Rollen handelt. Wenn dagegen auf konkrete Menschen Bezug genommen wird, ist diese Reduktion selbstverständlich nicht sinnvoll.

(Aus der Lizarbeit von Johanna Bleiker - merci vielmal, dass ichs hier zitieren darf!!)

Theoretisch finde ich das keine schlechte Lösung, vor allem auch weil gerade bei "Rollen" wie 'Kommunikator' Plurallösungen zum Teil schlecht funktionieren und Doppelformen mit sie/er auf Dauer sehr schwerfällig werden. Aber - und das ist mE ein grosses Aber - können Rollen so klar von den Menschen, die sie ausfüllen, getrennt werden? Deutlich wird das zB in solchen Sätzen:
Es handelt sich dabei um Interpretationen des Linguisten oder der Linguistin

Ist das nun eine abstrakte Rolle oder bezieht sich das auf den schreibenden Menschen (der in diesem Fall eine Frau ist)? Ist das jemals ganz trennbar? Ich finde nicht. Und: die kognitive Dominanz des Männlichen macht das auch nicht besser. Deshalb finde ich Doppelformen/Binnen-I nach wie vor die bessere (wenn auch nicht wirklich gute) Lösung.

Das funktioniert aber eben auch nicht immer... Aktueller Anlass für diesen Post ist der Anfang meiner Seminararbeit - ich wollte mit Schreiben beginnen und bin gleich beim ersten Satz hängen geblieben:
Die Bewertung der Rolle des Autors von mittelalterlichen Werken hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt.*

Oder doch eher
Die Bewertung der Rolle des Autors/der Autorin...

Da handelt es sich eindeutig um eine Rolle. Mir ists aber trotzdem nicht wohl mit der nur-maskulinen Formulierung - spielen Autorinnen denn nicht eher die Rolle einer Autorin?? Werden Autorinnen mitgedacht, wenn ich über die "Rolle des Autors" schreibe? Ich habe das starke Gefühl, dass zumindest ich dabei tatsächlich nur an Männer denke... und genau das möchte ich doch vermeiden.

Was tun? Thoughts?


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* das wäre mein erster Entwurf für einen ersten Satz gewesen, wenn ich denn so weit gekommen wäre - der wird so kaum stehenbleiben...
dlandert - 3. Aug, 22:19

Über solche Beispiele habe ich auch schon lange Diskussionen geführt (und mich dann immer wieder gefreut, dass ich die meisten Arbeiten auf Englisch schreibe). Ich finde die Formulierung "des Autors" auch problematisch und teile deine Einschätzung, dass damit bestimmt vorwiegend Männer assoziiert werden. In diesem spezifischen Fall würde ich wohl eine Pluralformulierung wählen, etwa: "die Rolle von AutorInnen mittelalterlicher Werke". Ist aber auch nicht richtig schick.
Noch grösser finde ich das Problem beispielsweise bei "Erzähler". Der Ansatz zu sagen, dass es sich dabei um eine abstrakte Grösse handelt, es darum nicht drauf an kommt, überzeugt mich nicht wirklich. Was ist beispielsweise mit Fällen, in denen es "homodiegetic narrators" (ich flüchte mich mal kurz in die englischsprachige Terminologie, kenne die deutschsprachige zu wenig) gibt? Spätestens da wird's doch schwierig, oder? Eine Alternative wäre die "Erzählinstanz", was aber auch wieder etwas bemüht wirkt...
Schade, dass sich die Variante "das Erzähler" oder eben "das Autor" nicht durchgesetzt hat, die wäre in diesen Fällen doch um einiges eleganter.

barbara... - 4. Aug, 09:45

oh ja, englisch schreiben wäre soooo viel einfacher!!

Danke fürs Input! Wahrscheinlich werde ich wirklich wieder bei der Plural+Binnen-I-Formulierung bleiben, weil ich damit noch am besten leben kann. 'Erzählinstanz' finde ich eigentlich nicht schlecht, jedenfalls konsequent - dann macht schon der Begriff klar, dass es sich wirklich um die Funktion handelt, ohne verwirrende Polysemie...

Und ich überlege mir jetzt grad, ob ich nicht auch mit 'Erzählinstanz' arbeiten könnte - streng genommen gehts zumindest in meiner Arbeit darum, wie sich der Autor (ein Mann in diesem Fall) im Text darstellt, womits ja eigentlich um die Konstruktion der Erzählinstanz geht. Nur ist das im MA noch einmal komplexer, weil die Texte zum Vorlesen gedacht waren - der Autor also zumindest in der Aufführungssituation tatsächlich als 'sich selbst' zum Publikum gesprochen hat. (Natürlich auch wieder eine Rollenkonstruktion - aber die Trennung zwischen Autor und Erzähler ist dann kaum mehr zu machen... ). Ausserdem beziehe ich mich auf so 'death of the author'-Theorien und sollte da wohl bei der Terminologie bleiben...

Seufz!

si1ja - 18. Aug, 11:56

Ich finde 'Erzaehlinstanz' auch eine wenig zu abstrakt fuer den genannten Satz. Ein Problem der Doppelnennung (Autor und Autorin) finde ich auch, dass diese irgendwie impliziert, dass die Bewertung der Rolle ev. anders war fuer den Autor und die Autorin (was sie wahrscheinlich gewissermassen ist/war, aber das wird ja kaum relevant sein, oder?). Ich denke, dies ist nicht oder weniger stark der Fall bei der Binnen-I-Variante.
silmanja - 18. Aug, 12:55

Hier möchte ich mich auch einmischen. Ich denke, dass gerade in diesem Kontext sowieso der Frage nachgegangen wird, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt - und dann ist eine geschlechtergerechte Schreibweise auch sinnvoll

Ich habe in meiner Arbeit oft mit den Begriffen Akteur und Multiplikator zu tun - und oft in einem sehr allgemeinen Kontext. Dann lasse ich den männlichen Begriff.

Wenn ich auf konkrete Situationen zurückgreife dann kommt es auf die Geschlechterverteilung an - die ich dann auch ansprechen muss.

Der Gebrauch einer geschlechtergerechten Sprache hat eben auch eine Auswirkung auf die Inhalte des Textes

barbara... - 20. Aug, 11:04

Die Arbeit ist inzwischen geschrieben, ich hab mich für die Plural-und-Binnen-I-Variante entschieden und findes ganz ok so. So hab ich beide drin, aber nicht extra betont durch eine Doppelformulierung wie der Autor/die Autorin.
Und weils tatsächlich mehr um der Erzähler (wieder: kein generisches Maskulinum, ist ein Mann) ging, hab ich dann vor allem diesen Begriff verwendet - nochmal danke fürs Input, Daniela!

Silja: Das hab ich mich auch gefragt, und bin mir immer noch nicht sicher. Ich denke schon, dass die Berwertung anders sein kann, je nachdem ob eine Frau oder ein Mann erzählt. Aber das war tatsächlich nicht das Thema meiner Arbeit... Drum jetzt die Binnen-I-Variante, da sind beide genannt, aber nicht besonders betont.

silmanja: Einmischen ist gut, danke fürs Input!
Hast du vielleicht ein Beispiel für so einen allgemeinen Kontext? Für mich ist genau da das Problem - gibt es je Kontexte, wo von den Menschen, welche die Funktion ausfüllen, völlig abstrahiert werden kann? Beziehungsweise: werden dann nicht eben wieder nur Männer gedacht, wenn du von 'Akteuren' schreibst? Was dann zur Folge hat, dass wir nur Männer in diesen Rollen sehen und deshalb weniger auf die Idee kommen, diese Rolle auch selbst einnehmen zu wollen/können?

silmanja - 20. Aug, 13:19

z.b: Die Übergabe des Projekts an die lokalen Akteure ... usw. hier sind aber auch oft Institutionen gemeint

ich arbeite stark im sozialwissenschaftlichen bereich, da geht es natürlich oft ums verallgemeinern und abstrahieren - und da halte ich es für angebracht - erlebe aber auch oft diskussionen darüber.

ob dann wieder nur männer gedacht werden, hängt - so denke ich - immer vom ganzen text ab. insgesamt muss durch die sprache deutlich gemacht werden, dass man nicht immer nur männer meint.
barbara... - 23. Aug, 20:30

danke fürs Klären! Gerade mit Institutionen seh ichs auf jeden Fall ein, und klar, der Kontext/Rest des Texts spielt auf jeden Fall eine wichtige Rolle.
Aber eben, die Grenzen sind dann halt oft fliessend - drum sind die Diskussionen drum wohl letztendlich wichtig, auch wenns manchmal mühsam ist.
 
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