Linguistically Speaking

Verglast

“[…] Es geht um den Sturz in die Tiefe, und zwar von der Lorzentobelbrücke zwischen Baar und Menzingen. Immer mal wieder springt einer, der nicht weiterleben will, hinunter. Jetzt lässt die Zuger Regierung an der Brücke unüberwindbare Wände aus Plexiglas anbringen, und man fragt sich natürlich, warum sie nicht früher darauf gekommen ist.
So einfach die Lösung manchmal ist für die komplizierten Probleme des Lebens, man muss doch auch weitergehen und fragen, was der Lebensmüde denn nun tut, wenn er unverrichteter Dinge abzieht. Geht er einfach heim und freut sich am schieren Dasein? Oder pflückt er im Wald den nächstbesten Pilz? Betritt er eine Apotheke und kauft ein Päckchen Xerbotryl®? Erwirbt er in der landwirtschaft- lichen Genossenschaft einen reissfesten Kälberstrick?
Eigentlich müsste die Zuger Regierung ja überall Plexiglasswände aufstellen, entlang von Geleisen, um Pilze und Apotheken herum und um landwirtschaftliche Genossenschaften. „Ach nein!“, sagt der Zuger Gesundheitsdirektor Joachim Eder am Fernsehen. Das rein Brückenspezifische genüge. „Die wissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass Leute, die sich mit einem Sprung aus der Höhe das Leben nehmen, sich nicht vor den Zug werfen oder mit Gift umbringen würden.“ Die Brücke als originärer Ort der suizidalen Inspiration. Da darf der Laie wieder mal über die Wissenschaft staunen. Ja Gopf, wie hat sie das nur herausgekriegt? Wir sehen den Forscher förmlich im Lorzentobel sitzen und den herabstürzenden Probanden per Megaphon die Frage zurufen: „Hätten Sie sich auch vorstellen können, einen giftigen Pilz zu essen?“

Aus: Mathias Ninck, „Hinter Plexiglass“, Kolumne in der NZZ am Sonntag vom 8. Oktober 06.
 
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