Linguistically Speaking

Wednesday, 7. December 2005

zum generischen Maskulinum...

"In der Schweiz z.B. wurde Frauen das Wahlrecht u.a. mit dem Hinweis vorenthalten, dass im Gesetz von Schweizern und nicht von Schweizerinnen die Rede war"
(Braun et al. 1998: 266, zit. in Klann-Delius 2005: 27)

wie krass isch das???

Feministische Linguistik II - Luise F. Pusch

[Das Buch: Pusch, Luise F. (1984): Das Deutsche als Männersprache. Suhrkamp]

Ein sehr lesenswertes Buch - witzig geschrieben und aufschlussreich, aber auch klar und überzeugend argumentiert. Drin sind Aufsätze zur feministischen Linguistik und im zweiten Teil Glossen zu einzelnen Formulierungen und Wörtern - zb zur ziemlich sinnlosen Formulierung "Die Periode ist bei jedem anders" auf o.b.-Beilagenzetteln.
(vgl. auch Kommentar unten, zu GDK)

Einige interessanten Punkte:
1) Für mich ziemlich überraschend: die ganzen -in-Formen sind scheinbar ziemlich neu - ausser "Lehrerin" und einigen wenigen anderen scheinen die meisten erst seit den 70er Jahren in Gebrauch zu sein (müsste aber wohl auch nachgeprüft werden?). Oder auch ein Wort wie "Kauffrau", das sich für mich normal anhört (jedenfalls halte ich "sie lässt sich zum Kaufmann ausbilden" nicht für einen korrekten Satz).

Pusch hält das generische Maskulinum für eine "Pseudo- Geschlechtsneutralisation" (1984:54) , weil es sich um eine ambige Form handelt, bei der Männer immer (mit)gemeint sind, Frauen aber nicht, sondern nur nach Kontext.

2) Vermutungen zur Entstehung des Motionssuffixes -in (Stand 1984 - Pusch meint, das sei noch nicht näher erforscht, keine Ahnung, obs inzwischen gemacht wurde).
Das Gotische hatte scheinbar ein relativ unparteiisches Bezeichnungssystem, welches v.a. mit "Differentialgenus" funktionierte: zb garazno 'Nachbar' und garazna 'Nachbarin' oder herro 'Herr' und herra 'Herrin' (!) - die weibliche und die männliche Form wurden also beide vom selben Stamm garazn- bzw. herr- abgeleitet, nicht die weibliche von der männlichen Form. Nur eine einzige Quelle belegt das Suffix -ini (Vorläufer von -in).
Im Althochdeutschen hingegen ist die -in(na)-Form für weibliche Personenbezeichnungen bereits sehr häufig, und sie "hat sich bis heute immer mehr ausgebreitet" (1984:56). Dann, so die Sprachhistoriker (alle männlich...), habe sich die Bedeutung des -in aufgespalten: das erste -in überführt Maskulina in Feminina und ergänzt den Basisinhalt um das Merkmal 'weibliches Geschlecht', das zweite -in bedeutet 'Frau (oder Tochter) des X' und symbolisiert so "die Zuordnung zu bzw. die Abhängigkeit von einem Mann" (1984: 57).
Pusch vermutet, dass die hier als neuere Bedeutungsvariante genannte Bedeutung 'Frau von X' die eigentliche und ursprüngliche Bedeutung des Suffixes war - dass alle früh belegten Königinnen und Wirtinnen die Frauen von Königen und Wirten waren. So würde es auch sprachsystematisch Sinn machen, dass überhaupt ein neues Motionsmorphem aufkam - es hätte ja auch wie im Gotischen das Differentialgenus weiterverwendet werden können. (allerdings ist Gotisch kein direkter Vorläufer von Althochdeutsch - gehört zu den Ostgermanischen Sprachen... Puschs Vermutung wäre wohl, dass im 'Ur'Germanischen die gotische Form herrschte, diese also die ursprünglichere wäre?)

Frauen kommen also durch diese -in-Movierung sprachlich nur als einem Mann zugeornete vor, nicht als unabhängige Individuen - womit ihnen auch eine eigenständige Identität (sprachlich) aberkannt wird. Auch dies ein Grund dafür, dass Pusch das Deutsche als durch und durch männlich ansieht, bis in die Grundstrukturen.

Pusch formuliert das nur als Hypothese - würde mich interessieren, ob da irgendwas dazu gemacht wurde. Findes auf jeden Fall spannend, und völlig aus der Luft gegriffen ists ja nicht: zb Pfarrerin wurde/wird ja z.T. schon für die Frau des Pfarrers verwendet... -finde das (falls es wirklich so ist) schon ein ziemlich starkes Argument dafür, dass zumindest einige 'Grundstrukturen' des deutschen patriarchalisch geprägt sind. Was nicht heisst, dass dies nicht umgewertet werden kann (s.u.)

3) Ihr Vorschlag, um das -in loszuwerden: konsequent das Neutrum als geschlechtsneutrale Form benutzen.
Also das Professor/Student - geschlechtsneutral
die Professor/Student - weiblich
der Professor/Student - männlich
Im Plural müsste immer spezifiziert werden, wenn nur Frauen oder nur Männer genannt werden, da "die Professoren" dann wirklich geschlechtsneutral wäre.
[:-), ich hätte das gut gefunden. Aber ist halt der grössere Eingriff, mehr zum umlernen...]

- da das aber eh nicht akzeptiert würde, plädiert Pusch dafür, die -in-Formen konsequent zu verwenden. Auch ehemals diskriminierend gemeinte Bezeichnungen können um- und aufgewertet werden, wenn sie mit Stolz übernommen und forciert werden, wie das zb mit "schwul" passiert ist.

4) zur Rolle der Linguistik: die feministische Linguistik wurde oft als 'unlinguistisch' bezeichnet (v.a. von Männern...), da sie nicht nur beschreibt, sondern auch kritisiert und Verbesserungsvorschläge macht.
Finde das an sich nicht besonders problematisch, obwohl mir GDKs Vorwurf schon auch einleuchtet - dass es gefährlich ist, mit vorgefassten Meinungen ans Forschen zu gehen, also mit der Überzeugung, dass sich soziale Strukturen und Machtverhältnisse auch im Sprachsystem zeigen und dann alles in diese Richtung zu interpretieren. Gerade bei diesen bits & pieces von Pusch hatte ich dieses Gefühl aber eigentlich nicht, finde ihre Analysen ziemlich klar und durchsichtig.

5) brilliant: sie liest den Duden als Trivialroman!

Vorlesungen SoSe 06

Hey, häsch s noi Vorlesigsprogram scho aglueget? Leider nid so viel 'nützlichs', findi...wär ebe gärn na ines paar Vorlesige ieghöcklet, wemmer ja d Semestergebür scho müend zahle (what a rip-off!)...

The Importance of Being Unreasonable

"The reasonable man adapts himself to the world. The unreasonable man persists in trying to adapt the world to himself. Therefore, all progress depends on the unreasonable man."
(George Bernard Shaw)
 
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