Linguistically Speaking

Feministische Linguistik

Sunday, 11. December 2005

Sprachsystem vs Sprachgebrauch

Nur so nebenbei: Soeben habe ich festgestellt, dass der im Englischen gebräuchliche s-Genitiv eigentlich gar kein richtiger 'Fall' ist, sondern vielmehr eine Derivation einer anderen Konstruktion:

John's book
ist nämlich ursprünglich eine Kontraktion von
John his book.

Die Form ist also eindeutig männlich, eine weibliche 'Gegenform' (Barbara'r book ;-)) existiert nicht (wo hingegen im 19. Jhdt noch eine Form wie "Cathy her book" (cf. Wuthering Heights) möglich war).

Da dem Sprachbenutzer hier also keine Wahl gelassen wird (im Gegensatz zum Gebrauch von "Studentin" etc.) diese Genitivform zu gebrauchen, ist hier m.E. eindeutig das Sprachsystem 'sexistisch', nicht der Sprachgebrauch.

Allerdings heisst das für mich in einem Fall wie diesem nicht, dass die Sprache/Sprachbenützer (bewusst oder unbewusst) diskriminieren. Vielmehr sind diese Elemente der Sprache einfach ein Zeichen dafür, dass die Sprache auf sexistischen Gesellschaftsstrukturen basiert.

Vielleicht beruhen die unterschiedlichen Ansichten von GKD und Pusch auf einer analogen unterschiedlichen Definition des Begriffs 'sexistisch' im Bezug auf Sprache? Und wo zwischen den beiden soll die Grenze des Reformdrangs gesetzt werden?

Wednesday, 7. December 2005

zum generischen Maskulinum...

"In der Schweiz z.B. wurde Frauen das Wahlrecht u.a. mit dem Hinweis vorenthalten, dass im Gesetz von Schweizern und nicht von Schweizerinnen die Rede war"
(Braun et al. 1998: 266, zit. in Klann-Delius 2005: 27)

wie krass isch das???

Feministische Linguistik II - Luise F. Pusch

[Das Buch: Pusch, Luise F. (1984): Das Deutsche als Männersprache. Suhrkamp]

Ein sehr lesenswertes Buch - witzig geschrieben und aufschlussreich, aber auch klar und überzeugend argumentiert. Drin sind Aufsätze zur feministischen Linguistik und im zweiten Teil Glossen zu einzelnen Formulierungen und Wörtern - zb zur ziemlich sinnlosen Formulierung "Die Periode ist bei jedem anders" auf o.b.-Beilagenzetteln.
(vgl. auch Kommentar unten, zu GDK)

Einige interessanten Punkte:
1) Für mich ziemlich überraschend: die ganzen -in-Formen sind scheinbar ziemlich neu - ausser "Lehrerin" und einigen wenigen anderen scheinen die meisten erst seit den 70er Jahren in Gebrauch zu sein (müsste aber wohl auch nachgeprüft werden?). Oder auch ein Wort wie "Kauffrau", das sich für mich normal anhört (jedenfalls halte ich "sie lässt sich zum Kaufmann ausbilden" nicht für einen korrekten Satz).

Pusch hält das generische Maskulinum für eine "Pseudo- Geschlechtsneutralisation" (1984:54) , weil es sich um eine ambige Form handelt, bei der Männer immer (mit)gemeint sind, Frauen aber nicht, sondern nur nach Kontext.

2) Vermutungen zur Entstehung des Motionssuffixes -in (Stand 1984 - Pusch meint, das sei noch nicht näher erforscht, keine Ahnung, obs inzwischen gemacht wurde).
Das Gotische hatte scheinbar ein relativ unparteiisches Bezeichnungssystem, welches v.a. mit "Differentialgenus" funktionierte: zb garazno 'Nachbar' und garazna 'Nachbarin' oder herro 'Herr' und herra 'Herrin' (!) - die weibliche und die männliche Form wurden also beide vom selben Stamm garazn- bzw. herr- abgeleitet, nicht die weibliche von der männlichen Form. Nur eine einzige Quelle belegt das Suffix -ini (Vorläufer von -in).
Im Althochdeutschen hingegen ist die -in(na)-Form für weibliche Personenbezeichnungen bereits sehr häufig, und sie "hat sich bis heute immer mehr ausgebreitet" (1984:56). Dann, so die Sprachhistoriker (alle männlich...), habe sich die Bedeutung des -in aufgespalten: das erste -in überführt Maskulina in Feminina und ergänzt den Basisinhalt um das Merkmal 'weibliches Geschlecht', das zweite -in bedeutet 'Frau (oder Tochter) des X' und symbolisiert so "die Zuordnung zu bzw. die Abhängigkeit von einem Mann" (1984: 57).
Pusch vermutet, dass die hier als neuere Bedeutungsvariante genannte Bedeutung 'Frau von X' die eigentliche und ursprüngliche Bedeutung des Suffixes war - dass alle früh belegten Königinnen und Wirtinnen die Frauen von Königen und Wirten waren. So würde es auch sprachsystematisch Sinn machen, dass überhaupt ein neues Motionsmorphem aufkam - es hätte ja auch wie im Gotischen das Differentialgenus weiterverwendet werden können. (allerdings ist Gotisch kein direkter Vorläufer von Althochdeutsch - gehört zu den Ostgermanischen Sprachen... Puschs Vermutung wäre wohl, dass im 'Ur'Germanischen die gotische Form herrschte, diese also die ursprünglichere wäre?)

Frauen kommen also durch diese -in-Movierung sprachlich nur als einem Mann zugeornete vor, nicht als unabhängige Individuen - womit ihnen auch eine eigenständige Identität (sprachlich) aberkannt wird. Auch dies ein Grund dafür, dass Pusch das Deutsche als durch und durch männlich ansieht, bis in die Grundstrukturen.

Pusch formuliert das nur als Hypothese - würde mich interessieren, ob da irgendwas dazu gemacht wurde. Findes auf jeden Fall spannend, und völlig aus der Luft gegriffen ists ja nicht: zb Pfarrerin wurde/wird ja z.T. schon für die Frau des Pfarrers verwendet... -finde das (falls es wirklich so ist) schon ein ziemlich starkes Argument dafür, dass zumindest einige 'Grundstrukturen' des deutschen patriarchalisch geprägt sind. Was nicht heisst, dass dies nicht umgewertet werden kann (s.u.)

3) Ihr Vorschlag, um das -in loszuwerden: konsequent das Neutrum als geschlechtsneutrale Form benutzen.
Also das Professor/Student - geschlechtsneutral
die Professor/Student - weiblich
der Professor/Student - männlich
Im Plural müsste immer spezifiziert werden, wenn nur Frauen oder nur Männer genannt werden, da "die Professoren" dann wirklich geschlechtsneutral wäre.
[:-), ich hätte das gut gefunden. Aber ist halt der grössere Eingriff, mehr zum umlernen...]

- da das aber eh nicht akzeptiert würde, plädiert Pusch dafür, die -in-Formen konsequent zu verwenden. Auch ehemals diskriminierend gemeinte Bezeichnungen können um- und aufgewertet werden, wenn sie mit Stolz übernommen und forciert werden, wie das zb mit "schwul" passiert ist.

4) zur Rolle der Linguistik: die feministische Linguistik wurde oft als 'unlinguistisch' bezeichnet (v.a. von Männern...), da sie nicht nur beschreibt, sondern auch kritisiert und Verbesserungsvorschläge macht.
Finde das an sich nicht besonders problematisch, obwohl mir GDKs Vorwurf schon auch einleuchtet - dass es gefährlich ist, mit vorgefassten Meinungen ans Forschen zu gehen, also mit der Überzeugung, dass sich soziale Strukturen und Machtverhältnisse auch im Sprachsystem zeigen und dann alles in diese Richtung zu interpretieren. Gerade bei diesen bits & pieces von Pusch hatte ich dieses Gefühl aber eigentlich nicht, finde ihre Analysen ziemlich klar und durchsichtig.

5) brilliant: sie liest den Duden als Trivialroman!

Monday, 5. December 2005

Feministische Linguistik I - finally...

[finally - our internet connection didn't work yesterday..]

"Sprache und Geschlecht" von Gisela Klann-Delius (2005)

Kurz zum Aufbau, damit dus dir ungefähr vorstellen kannst:
- Entwicklungsgeschichte des Forschungsbereichs
- Analysen & empirische Befunde (aufgeteilt in Sprachsystem und Sprachgebrauch)
- Erklärungsansätze
- Wirkungen: Sprachpolitik & Sprachwandel

Mit der Diskussion von Analysen des Sprachsystems hatte ich einige Probleme. Die Autorin (henceforth GKD) argumentiert, dass nicht das Sprachsystem an sich sexistisch sei, sondern nur der Sprachgebrauch, und dass dies in der feministischen Linguistik oft vermischt worden sei. Letztendlich sei es die Wahrnehmung der SprachbenutzerInnen, welche Sprache als sexistisch empfinde, und nicht die Sprache selbst.
Als Beispiel (das mich sehr irritiert, bin mir noch nicht so im klaren darüber, wie überzeugend ich das finde): das generische Maskulinum (also "der Student" oder "die Studenten", wenn beide Geschlechter gemeint sind). GDK u.a. argumentieren, dass "Student" doppeldeutig sei: einerseits bedeutet es 'Mann, der studiert', andererseits 'Person, die studiert'. Bei Lebewesen gebe es zu jeder sexusneutralen Bezeichnung ein gleichlautendes Wort, das sexusspezifisch sei, wobei es nicht stimme, dass das 'neutrale' Wort immer das Maskulinum sei - "Katze" zb kann sich sowohl auf die Gattung wie auch auf eine weibliche Katze beziehen.
Wenn "Student" aber doppeldeutig ist, wie wird dann entschieden, welche Bedeutung gemeint ist? Nach GDK & Co. nach dem Kontext, wobei immer die geschlechtsneutrale Bedeutung anzunehmen sei, wenn der Kontext nicht klar ist. Schön - aber weiter hinten im Buch zitiert sie Studien, die (für einmal recht eindeutig) belegen, dass die meisten untersuchten Personen "Student" etc. als Maskulina verstehen, also eben nicht geschlechtsneutral. Das wäre dann aber eben die Ebene des Sprachgebrauchs, und nicht mehr des Sprachssystems - folglich ist nicht das Sprachsystem sexistisch, sondern nur der Sprachgebrauch.

Ich finde diese strikte Trennung zwischen System und Gebrauch ziemlich schwierig - gibt es das System völlig unabhängig vom Gebrauch? Wenn nun die Mehrzahl der SprachbenutzerInnen "Student" als Maskulinum verstehen, ändert das nicht auch die Bedeutung dieses Begriffs im System?
Und: wenn es nunmal die weiblichen Formen "Studentin" und "Studentinnen" auf deutsch gibt - auf englisch zb gibts ja diese Form einfach nicht - wer legt dann fest, dass "Studenten" geschlechstneutral ist? Das leuchtet mir auch auf der Systemebene nicht ein. Scheint mir vielmehr eine Vereinfachung zu sein, dass man nicht immer "Studentinnen und Studenten" sagen muss. Aber zu behaupten, das sei ein geschlechtsneutraler Ausdruck, heisst doch einfach, dass er so verwendet werden kann, nicht dass er das abstrakt im System gesehen auch ist - da gibt ja keine Kriterien dafür, bzw. das kann nicht überprüft werden, weil das System ja immer nur über konkreten Sprachgebrauch untersucht werden kann.
Bei "Katze" wäre das doch ähnlich - es ist m.E. arbiträr (bzw. wahrscheinlich etymologisch erkärbar?), dass die feminine Bezeichnung als Gattungsname verwendet wird. Vielleicht auch: wenn deutlich werden soll, dass von einer weiblichen Katze gesprochen wird, muss man das explizit sagen, sonst wird nicht klar, dass das Geschlecht relevant ist. Bei "Student" ist das nicht so - niemand würde sagen "ein männlicher Student" (oder?)

[bin sehr gespannt, wie du das siehst - hab mich beim lesen sehr genervt und musste doch ziemlich nachdenken, bis ich ihre Argumente einigermassen kontern konnte...]

Bei den Analyse zum Sprachgebrauch gabs auch Spannendes:

GKDs Fazit ist, dass es gerade beim Gesprächsverhalten mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt - von zwei getrennten Kulturen zu sprechen ist von daher ungerechtfertigt, die Unterschiede sind lange nicht so gross, wie das teilweise dargestellt wird.

Ausserdem kritisiert sie, dass die Studien methodisch oft schlecht gemacht sind: es werden oft nur sehr kleine Samples verwendet, ausserdem oft studentische (klar, an die kommt man einfach ran ;-)), trotzdem werden auf dieser beschränkten Basis Aussagen über das Gesprächsverhalten von Männern und Frauen allgemein gemacht. Ausserdem werden andere Faktoren, die das Gesprächsverhalten beeinflussen, oft nicht einbezogen - so wird zum Beispiel der situative Kontext oft zuwenig berücksichtigt (kennen die Leute sich? was ist ihr Verhältnis, ihr Status? wie lange dauert das Gespräch? welches Geschlecht haben die GesprächsteilnehmerInnen?)
Ausserdem würde oft die eigene Überzeugung, dass es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, die Interpretation der Resultate beeinflussen - so würden Unterschiede betont und Gemeinsamkeiten ausgeblebdet. GDK plädiert deshalb dafür, mehr von den Forschunsresultaten auszugehen, und auch einzugestehen, wie uneinheitlich und oft unklar diese sind.

(Insgesamt find ichs ne gute Einführung, die auch viel Forschungslit zusammenfasst - ist aber z.T. schlecht aufgebaut bzw. nicht besonders leserlich. Zum Schluss jedes Subkapitels gibts eine kurze Zusammenfassung, die z.T. aber gar nicht wirklich wiedergibt, was im Kapitel stand....)

[I'm off to Freiburg! Have a good time & happy reading!]
 
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